Seit 1333: Kiedricher Chorbuben singen Sonntag für Sonntag in Basilika St. ValentinGraduale web

Die Kiedricher Chorbuben singen in ihrem gotischen Gotteshaus, welches im Jahr 2010 durch Papst Benedikt XVI. vorrangig wegen der an diesem Orte gepflegten Choraltradition den Ehrentitel einer päpstlichen Basilika“ verliehen bekommen hat, sonn— und feiertags um 9.30 Uhr ein lateinisches Choralhochamt. Nur am ersten Sonntag eines neuen Monats und in den hessischen Ferien haben sie keinen Dienst.
 
So sind die Chorbuben aber immerhin bis zu vierzig Mal pro Jahr öffentlich in ihren Chorröcken zu sehen und zu hören, wenn sie zur Ehre Gottes musizieren. Hinzu kommen mindestens zwei Konzerte pro Jahr; eines im Sommer in Kloster Eberbach, das andere traditionell am dritten Adventssonntag in Kiedrich. Hierbei erklingen größere Werke für Chor und Orchester, namhafte Solisten bereichern das Programm.
 
Hauptaufgabe des Chores jedoch bleibt die Beschäftigung mit der Gregorianik im Choralhochamt, welches eine feierliche Form der katholischen Meßfeier darstellt, die weitgehend aus der Mode gekommen ist. Aber vielleicht finden sich gerade deshalb in Kiedrich von fern und nah Liebhaber dieser oft mehr als tausend Jahre alten Melodien ein, deren Kennzeichen neben der Einstimmigkeit die lateinische Sprache ist, mit der ein Chorbube schon im Alter von sieben Jahren vertraut wird. Auch die „modi“, die Kirchentonarten, übertreffen durch ihren Klangreichtum die heutzutage üblichen Tongeschlechter Dur und Moll und berühren den Zuhörer im Innersten seiner selbst.
 
So wird die Meßfeier für die Gläubigen zu einem besonderen Erlebnis, das Herz und Geist zu Gott zu führen vermag, wenn sie sich einmal auf dieses etwas andere vokale Erlebnis einlassen. Die Priester sprechen einzelne Gebete während der Meßfeier ebenfalls in Latein, das die Kiedricher Gemeinde sehr gut beherrscht.
 
Neben der Gregorianik erklingt im Regelfall in jedem Gottesdienst zudem eine mehrstimmige Motette eines alten oder zeitgenössischen Komponisten oder ein deutscher Liedsatz — passend zu den liturgischen Texten des Tages. Rührend klingen die Stimmen der Kinder, wenn diese in vollem Chore im Wechsel mit der Gemeinde das „ordinarium missae“ zur Ehre Gottes anführen, wenn mehrere Buben zusammen den Ruf der Engel „Gloria in excelsis Deo“ schmettern, ein einzelner Chorbube eine Liedstrophe oder das „et incarnatus est“ aus einer Choralmesse solistisch vorträgt, ein anderer die Fürbittrufe anstimmt, ein weiterer die Lesung singt...
 
Etwas Besonderes ist auch, dass die Chorbuben die gregorianischen Gesänge in einer anderen Weise singen als sonst in der katholischen Weltkirche üblich. Die Kiedricher Melodien weichen gegenüber den sonst üblichen Fassungen zum Teil erheblich ab. Fachleute sprechen hier vom „germanischen Choraldialekt“, der einst zwischen Metz in Frankreich und Klosterneuburg vor den Toren Wiens gesungen wurde, heute jedoch einzig noch in Kiedrich gepflegt wird. Wie ein Dialekt in der Sprache für „Irregularitäten“ sorgt, so sind es im Falle des Choraldialektes Melodievarianten, die den Fachmann zunächst verwundern mögen, ihn jedoch schnell durch die ihnen innewohnende Heiterkeit erfreuen. Diese Besonderheit des Melodieverlaufs macht es erforderlich, dass die Chorbuben aus eigenen handgeschriebenen Büchern singen, die hier Graduale Kideracense und Kyriale Kideracense genannt werden (kideracense = aus Kiedrich).
 
Momentan singen im Chor Chorbuben im Alter zwischen 8 und 50 Jahren, die alle aus Kiedrich kommen. Bis zu sechs Zeitstunden wöchentlich nimmt der Gesang jeden einzelnen Sänger in Anspruch, wofür er bis zu dreimal pro Woche zur Chorschule kommt. Der Chornachwuchs rekrutiert sich aus älteren Kindergartenkindern, die im „Frischlingschor“ einmal wöchentlich proben und zusätzlich an einer chorisch-musikalischen Früherziehung teilnehmen. Danach gelangen sie in den „Vorchor“ und erhalten regelmäßig Stimmbildung‚ bis sie das Rüstzeug zum Chorbuben erworben haben.
 
Zu diversen Anlässen und bei besonderen Einladungen singen einzelne Chorbuben oder die Herrenschola des Chorstifts auch auswärts, vornehmlich im benachbarten Kloster Eberbach. Musikalische Darbietungen anlässlich von Hochzeitsfeiern auch auswärtiger Paare in der Kiedricher Basilika gehören zu Zusatzterminen, die gerne wahrgenommen werden.

 

"Machet die Tore weit", Kiedricher Chorbuben